Egal, ob im Offline- oder Online-Raum: Hakenkreuzschmierereien, die Schändung von jüdischen Gräbern, extrem rechte Sticker in WhatsApp-Gruppen, dort geteilte Naziparolen oder gezeigte Hitlergrüße in der Klasse – Vorfälle wie diese, sprechen für wachsenden Antisemitismus. Jüd*innen fühlen sich bedroht; das Unsicherheitsgefühl wächst. Was verbirgt sich dahinter und was können wir tun?
Was ist Antisemitismus?
In Deutschland leben ungefähr 200.000 Jüd:innen. Antisemitismus ist eine Ideologie, die Jüd:innen einen bestimmten Platz zuweist. Ähnlich wie zum Beispiel bei Rassismus wird eine Gruppe als anders und fremd gegenüber der Eigenen markiert. Sie wird zudem als homogen (einheitlich) wahrgenommen.
Ein spezielles Merkmal des Antisemitismus ist, dass Jüd:innen gleichzeitig eine besondere Macht und ein besonderer Einfluss in den unterschiedlichsten Bereichen zugeschrieben wird. Antisemitismus ist mehr als ein Vorurteil oder ein Einstellungsmuster. Er bietet ein Welterklärungssystem an, in dem Jüd:innen als »Strippenzieher:innen« für wirtschaftliche, politische und soziale Strukturen und insbesondere für gesellschaftliche Krisen verantwortlich gemacht werden.
Antisemitismus & Verschwörungsmythen
Verschwörungsmythen gedeihen in Zeiten der Unsicherheit und Angst – sie bieten einfache Erklärungen für komplexe Sachverhalte. Der Glaube an eine Verschwörung findet sich deshalb auch bei den „Querdenken“ – Demonstrationen wieder: Der Glaube an eine geheime Macht, welche die Fäden im Hintergrund spinnt, sowie geschichtsrelativierende Vergleiche. Vergleiche mit Opfern aus der NS-Zeit und Verweise auf Anne Frank, Sophie Scholl oder dem Judenstern sind nicht nur verharmlosend. Sie verhöhnen die tatsächlichen Opfer und zeugen von einem Mangel an Empathie und Bildung auf vielen Ebenen“, wie der Antisemitismus-Beauftragte der Bundesregierung, Felix Klein, deutlich macht. Das Gefährliche daran: Worten folgen schnell Taten – wie zum Beispiel der Anschlag auf eine Synagoge in Halle zeigte.
Was tun?
Die Herausforderung der nächsten Jahre liegt darin, zu verhindern, dass Menschen sich von Verschwörungserzählungen angezogen fühlen und – falls dies doch passiert – sie aus diesem Denken zu lösen. Ziel sollte sein, das ihnen verloren gegangene Vertrauen in die freiheitlich liberale Demokratie und ihre gewählten Vertreter:innen wieder aufzubauen sowie das hohe Gut der Demokratie in Deutschland und in Europa wertzuschätzen.
Es ist wichtig, sich im „Debunking“ (Entlarven) von Verschwörungserzählungen zu versuchen, deren Inhalte nicht zu reproduzieren, sondern eigene, positive Gegenerzählungen einfließen zu lassen. Im öffentlichen und digitalen Raum sollte Widerspruch deutlich werden.
Präventiv ist Selbstreflexion – auch von Pädagog:innen -, politische Urteilsbildung und Einmischung, das Verständnis von Komplexität und das Aushalten von Widersprüchen, Ambivalenzen und Uneindeutigkeiten wirksam gegen Verschwörungsmythen. Antisemitismus ist im Zusammenhang mit anderen Formen diskriminierender Einstellungen und gruppenbezogener Menschenfeindlichkeit zu begreifen; der erste Schritt sollte immer eine Sensibilisierung für diese Einstellungen und Denkweisen sein.
Die Bildungsarbeit mit Jugendlichen erhält vor diesem Hintergrund eine besondere Bedeutung und stellt eine besondere Herausforderung dar. Junge Menschen, die es gewohnt sind, argumentativ und begründet ihre Anliegen zu vertreten, die Teilhabe und Mitwirkung erfahren haben, sind besser gewappnet gegen die Verlockungen falscher Welterklärungen.
Quellen
Anne Frank Zentrum (Hrsg.): Antisemitismus – Geschichte und Aktualität. Handreichung für Fachkräfte und Multiplikator*innen
Vogt, Angelika (2021): „Wenn Fakten nicht mehr zählen. »Querdenken« – Verschwörungsmythen – Antisemitismus“ in „Antidemokratische Vorfälle und Ereignisse in Baden-Württemberg – Rechtsextremismus, religiös begründeter Extremismus und Gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit 2020“ (Hrsg.: Günter Bressau/ Wolfgang Antes), S. 15 – 20.